Hilfskräfte im ukrainischen Flutgebiet

„Viele Betroffene wollen ihre Häuser gar nicht verlassen“

Angehörige des ukrainischen Militärs helfen in Cherson einem älteren Mann dabei, ein Boot zu verlassen, das zur Evakuierung in den überfluteten Gebieten eingesetzt wird.

Angehörige des ukrainischen Militärs helfen in Cherson einem älteren Mann dabei, ein Boot zu verlassen, das zur Evakuierung in den überfluteten Gebieten eingesetzt wird.

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sind die Hilfsarbeiten im Flutgebiet angelaufen. Viele Menschen in der Region stehen vor den Trümmern ihrer Existenz, sowohl die Ukraine als auch Russland bestätigen bisher 14 Todesopfer. Tausende Betroffene wurden auf dem von der Ukraine kontrollierten rechten Ufer des Flusses Dnipro bereits evakuiert, doch mindestens ebenso viele Menschen harren weiterhin in ihren Häusern aus.

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Unbestätigten Angaben zufolge seien bis zu 40.000 Menschen in der Region von der Flut infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms betroffen, berichtet Franziska Jörns, stellvertretende Landesdirektorin der Hilfsorganisation Care in der Ukraine. Bisher meldeten die ukrainischen Behörden offiziell 16.000 Menschen in der Zone der Überflutungen. „Viele Betroffene wollen ihre Häuser gar nicht verlassen“, erklärt Jörns gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie warteten darauf, dass die Wassermassen bald abfließen, damit sie mit den Reparaturen an ihren Häusern beginnen können.

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Die Regionalverwaltung von Cherson teilte mit, dass bis Donnerstagabend mehr als 2000 Menschen evakuiert worden seien. „Darunter befinden sich vor allem Ältere und Menschen mit Behinderungen. Kinder wurden bisher nur wenige evakuiert“, sagt Jörns. Trotz der Evakuierungen sei ein großer Teil der Menschen in der Stadt Cherson geblieben und bei Freunden sowie Verwandten untergekommen. Offizielle Evakuierungspunkte würden weniger genutzt. Und die wenigsten verließen tatsächlich die Region: „Es gibt eine ‚Wir schaffen das‘-Mentalität unter den Betroffenen“, berichtet Jörns. Dies hänge wohl auch damit zusammen, dass die Region monatelang von Russland besetzt war und erst im vergangenen Herbst von ukrainischen Truppen befreit wurde.

„Das Flutgebiet ist das am stärksten verminte Gebiet der Ukraine“

Die russische Besatzung hat nicht nur bei den Menschen in der Region ihre Spuren, sondern auch lebensbedrohliche Gefahren in der Landschaft hinterlassen. „Das jetzige Flutgebiet ist das am stärksten verminte Gebiet der Ukraine“, sagt Franziska Jörns. Es ist bekannt, dass die russischen Truppen in dem Gebiet große Minenfelder angelegt haben. Diese Minen, sowohl Antipersonen- als auch Antipanzerminen, schwimmen nun im Wasser und behindern die Hilfsarbeiten. Sobald das Wasser zurückgeht, setzen sich die Minen ab. „Dann sind sie im Schlamm kaum noch erkennbar und stellen eine große Gefahr für die Bewohnerinnen und Bewohner der Region, aber auch für die Hilfskräfte dar“, so die stellvertretende Care-Landesdirektorin.

Angemessene Schutzausrüstung für diese Bedrohung sei bei den Hilfsorganisationen kaum vorhanden. Man schütze sich zwar mit schusssicheren Westen und Helmen – vor Minen seien die Hilfskräfte damit jedoch nicht gefeit, erklärt Jörns. Die Situation müsse von speziell ausgebildeten Organisationen analysiert werden. Doch das gehe erst, wenn das Wasser gänzlich abfließt. Bis dahin könnten noch Wochen vergehen.

Hinzu kommt, dass die Überflutungsgebiete von einer Verseuchung durch Chemikalien bedroht sind. Die Hilfsorganisation Care warnt davor, dass bereits 150 Tonnen Öl in den Fluss Dnipro gelangt seien. Es bestehe die Gefahr, dass weitere 300 Tonnen austreten könnten. Davon bedroht sei besonders das mehr als 80.000 Hektar große Naturschutzgebiet Nyzhniodniprovskyi, das komplett zerstört werden könnte.

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Ukrainischer Katastrophenschutz funktioniert – in den russisch besetzten Gebieten ist die Lage anders

„Bisher haben die Katastrophenschutzmaßnahmen der Behörden im von der Ukraine kontrollierten Flutgebiet funktioniert“, sagt Jörns. Evakuierte würden etwa von Psychologen in Empfang genommen und betreut. Hilfsorganisationen wie Care versuchen nun, die Betroffenen mit dem Nötigsten zu versorgen. Dazu gehört vor allem Trinkwasser, das aktuell zum Hauptbedarf der Menschen gehöre und aus angrenzenden Regionen beschafft werde, die nicht von den Überflutungen betroffen sind. Außerdem bräuchten die Menschen Hygieneartikel, Wasserfilter, aber auch Stromgeneratoren und Boote.

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Am linken Ufer des Dnipro stellt sich die Situation offenbar anders dar. „Ukrainische Organisationen, mit denen Care zusammenarbeitet, bekommen immer wieder Anrufe von Menschen, die in den von Russland besetzten Gebieten festsitzen“, berichtet Franziska Jörns. Doch die Hilfsorganisationen haben keinen Zugang zu dem Gebiet. „Uns wurde berichtet, dass die Artillerieangriffe von der russischen Seite weiterhin anhalten. Rund alle 15 Minuten sind Explosionen in dem Gebiet zu hören“, sagt die stellvertretende Care-Landesdirektorin.

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den russischen Truppen am Donnerstagabend den Beschuss von Rettungskräften und Evakuierungspunkten vorgeworfen. In Medien zirkulierten entsprechende Videos. Zudem sollen sich die russischen Besatzer laut Selenskyj kaum um die betroffenen Menschen am linken Dnipro-Ufer kümmern. „Dort weitet sich die Katastrophe bereits am zweiten Tag weiter aus“, sagte Selenskyj. Der ukrainische Präsident hatte am Donnerstag das Flutgebiet besucht.

Die Folgen der Flut werden die Südukraine noch lange beschäftigen

Russlands Staatschef Wladimir Putin hingegen schickte bisher lediglich einen hohen Kremlbeamten in die Region. Erst zwei Tage nach dem Bruch des Dammes wies er an, Hilfen in das Gebiet zu schicken. Der Vizechef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, inspizierte am Donnerstag das Gebiet.

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Der Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine ist am frühen Dienstagmorgen gebrochen. Die Ukraine wirft Russland vor, den Damm mit Explosionen gezielt zerstört zu haben. Moskau hingegen beschuldigt die ukrainischen Truppen, die Katastrophe mit Artilleriebeschuss ausgelöst zu haben. Große Flächen in der Südukraine stehen seitdem unter Wasser. „Die akuten Folgen für die Menschen sind aktuell am extremsten. Langfristig aber werden besonders die Landwirtschaft sowie die Sektoren Energie und Infrastruktur mit den Folgen der Flut zu kämpfen haben“, so Franziska Jörns.

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